Digitale Barrierefreiheit ist mittlerweile kein Nice-to-have mehr, sondern ein zentraler Standard. Mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) am 28. Juni 2025 müssen private Wirtschaftsakteure bestimmte Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anbieten. Laut § 3 Abs. 1 BFSG ist Barrierefreiheit gegeben, wenn diese Produkte und Dienstleistungen “für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind”.
Das BFSG bringt für Hersteller, Händler, Importeure und Dienstleistungsanbieter umfangreiche Anforderungen mit sich. In diesem Artikel zeigen wir, was genau hinter dem Gesetz steckt, wer davon betroffen ist und welche Pflichten Unternehmen im digitalen Raum jetzt kennen und umsetzen sollten.
Inhaltsverzeichnis
- Wer ist vom BFSG betroffen?
- Wer ist nicht vom BFSG betroffen?
- Betrifft das BFSG nur den B2C- oder auch den B2B-Bereich?
- Ab wann tritt das BFSG in Kraft?
- Gibt es Übergangsfristen für die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen?
- Welche Bestimmungen müssen eingehalten werden?
- Wie lassen sich die Bestimmungen umsetzen?
- Welche Produkte sind vom BFSG betroffen?
- Welche Dienstleistungen sind vom BFSG betroffen?
- Was versteht man unter Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr?
- Gilt das BFSG für alle Websites?
- Was kostet die Prüfung einer Website auf Barrierefreiheit?
- Vorteile, wenn man die Bestimmungen schon früh umsetzt
- Wie wird die Einhaltung der Bestimmungen überprüft?
- Was passiert bei Nicht-Einhalten des Gesetzes?
- Disclaimer und weiterführende Links
Wer ist vom BFSG betroffen?
Betroffen sind alle Hersteller, Händler und Importeure der in § 1 Abs. 2 BFSG genannten IT- und Telekommunikationsprodukte und alle Erbringer der in § 1 Abs. 3 BFSG genannten Dienstleistungen.
Wer ist nicht vom BFSG betroffen?
Es gibt eine Ausnahme für Kleinstunternehmen (mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro), die Dienstleistungen anbieten oder erbringen. Sie sind nach § 3 Abs. 3 BFSG nicht vom BFSG erfasst. Diese Ausnahme gilt ausschließlich im Dienstleistungsbereich, nicht aber für Kleinstunternehmen, die die in § 1 Abs. 2 genannten Produkte in den Verkehr bringen – sie müssen sich an die neuen Vorgaben halten.
Außerdem kann es bei “unverhältnismäßiger Belastung” eines Wirtschaftsakteurs unter Umständen zu einer Ausnahme kommen, was in § 17 BFSG geregelt ist. Nähere Informationen dazu finden Sie in den Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Betrifft das BFSG nur den B2C- oder auch den B2B-Bereich?
Das BFSG betrifft nur den B2C-Bereich. Es regelt die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, die sich an Verbraucher richten (vgl. Bundesfachstelle für Barrierefreiheit, Punkt 14). Für Dienstleistungen, die rein im B2B-Sektor angeboten werden, gilt das BFSG nicht. Ist es einem Verbraucher jedoch möglich, die Dienstleistung grundsätzlich in Anspruch zu nehmen, so findet das BFSG Anwendung. Um sicherzustellen, dass Verbraucher nicht angesprochen werden, sollten B2B-Anbieter deutlich darauf hinweisen, dass nur an Unternehmen verkauft wird und Bestellungen durch Privatkunden nicht ermöglichen (vgl. Datenschutz-Generator, Punkt 5.3).
Ab wann tritt das BFSG in Kraft?
Am 22. Juli 2021 wurde der European Accessibility Act (EAA) in Form des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes in nationales Recht umgesetzt. Seit 2022 gelten die Regelungen des Gesetzes bereits für öffentliche Behörden. Der Stichtag für das allgemeine Inkrafttreten der Barrierefreiheitsbestimmungen für Websites und Onlineshops ist der 28. Juni 2025.
Gibt es Übergangsfristen für die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen?
Im E-Commerce gibt es keine allgemeinen Übergangsfristen. Betroffene Produkte und Dienstleistungen müssen grundsätzlich bis zum 28. Juni 2025 barrierefrei sein. Für einige ausgewählte Produkte und Dienstleistungen werden in § 38 BFSG allerdings verlängerte Fristen genannt.
Welche Bestimmungen müssen eingehalten werden?
Für die praktische Umsetzung digitaler Barrierefreiheit sind verschiedene Gesetze, Normen und Standards relevant. Zwei zentrale Pfade führen zu den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), dem internationalen Standard für digitale Barrierefreiheit.
Vom Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) zu den WCAG
12d des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) bildet die Rechtsgrundlage der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) (vgl. Bundesfachstelle Barrierefreiheit). Die BITV 2.0 ist eine deutsche Verordnung, welche die Anforderungen der EU-Norm EN 301 549 in nationales Recht umsetzt. Diese EU-Norm verweist wiederum auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1.
Die BITV 2.0 bildet die Grundlage für die Bewertung digitaler Barrierefreiheit in Deutschland. Sie betrifft insbesondere den öffentlichen Sektor, dient aber auch als Orientierungshilfe im E-Commerce im Rahmen des BFSG. In ihrer aktuellen Version umfasst die BITV knapp 100 Prüfkriterien.
Vom BFSG zu den WCAG
4 BFSG verweist auf harmonisierte Normen. Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit nennt in diesem Kontext ebenfalls die Norm EN 301 549 (vgl. Bundesfachstelle Barrierefreiheit, Punkt 9) was wiederum zu den WCAG 2.1. führt.
Die WCAG, die aktuell bereits in der Version 2.2 vorliegen, beschreiben, wie Websites, Apps und andere digitale Inhalte gestaltet sein müssen, damit sie für möglichst viele Menschen zugänglich sind. Im Kern definieren sie vier Prinzipien für die Gestaltung digitaler Angebote und Inhalte:
- Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen so präsentiert werden, dass sie vom Benutzer wahrgenommen werden können.
- Bedienbarkeit: Die Benutzeroberfläche muss für alle Nutzer bedienbar sein.
- Verständlichkeit: Informationen und Bedienung müssen klar und intuitiv gestaltet werden.
- Robustheit: Inhalte müssen so gestaltet sein, dass sie auf verschiedenen Geräten und mit assistiven Technologien zugänglich sind.
Wie lassen sich die Bestimmungen umsetzen?
Aspekte, die man bei der Umsetzung von Barrierefreiheit beachten muss:
Es gibt eine Vielzahl an Aspekten, die für die Sicherstellung der Barrierefreiheit für E-Commerce-Produkte beachtet werden müssen. Dazu gehören: Titel, Farben, Kontraste, Überschriften, Tastatursteuerbarkeit, Videos, Bilder, Grafiken, Links und Tabellen
Einen guten Überblick bieten die im letzten Abschnitt unter „Vorgehensweise Barrierefreiheit“ verlinkten Seiten.
Welche Produkte sind vom BFSG betroffen?
Gemäß § 1 Abs. 2 BFSG fallen unter anderem folgende Produkte unter das BFSG:
- Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher: z.B. Computer, Tablets, Smartphones
- Selbstbedienungsterminals: Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-In-Automaten, interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen
- Verbraucherendgeräte für Telekommunikationsdienste: z.B. Router
- Verbraucherendgeräte für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten: z.B. Smart-TVs
- E-Book-Lesegeräte
Welche Dienstleistungen sind vom BFSG betroffen?
Gemäß § 1 Abs. 3 BFSG gilt das Gesetz unter anderem für folgende Dienstleistungen:
- Telekommunikationsdienste
- Bestimmte Elemente von Personenbeförderungsdiensten (Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr)
- Bankdienstleistungen für Verbraucher
- E-Books und hierfür bestimmte Software
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Was versteht man unter Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr?
Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr sind nach § 2 Nr. 26 BFSG „Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden“. Essenziell ist in dieser Definition das Abzielen auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags, wie es beispielweise in Online-Shops und auf digitalen Verkaufsplattformen oder Buchungsportalen für Reisen der Fall ist. Auch die Option, Termine über eine Webseite zu buchen kann als eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr gelten, wie aus den Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (Punkt B) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hervorgeht.
Gilt das BFSG für alle Websites?
Nein, das BFSG betrifft nicht alle Websites eines Unternehmens. Es gilt nur für jene, die eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr darstellen – die also auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags hinwirken (vgl. Bundesfachstelle für Barrierefreiheit, Punkt 19). Blogs oder Webseiten, die reinen Präsentations- und Informationszwecken dienen, sind hingegen nicht zwingend vom BFSG betroffen (vgl. Bundesfachstelle für Barrierefreiheit, Punkt 19). Genauere Informationen zu betroffenen Bestandteilen eines Onlineangebots finden Sie bei Datenschutz-Generator, Punkt 5.4.
Was kostet die Prüfung einer Website auf Barrierefreiheit?
Die Kosten für eine Prüfung auf Barrierefreiheit hängen stark von der Struktur und Komplexität der geprüften Website ab. Ein professioneller Anbieter sollte Ihnen auf Anfrage ein individuelles Angebot erstellen. Die Prüfdauer schwankt entsprechend zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen. Ein Selbsttest vorab ist möglich und kann eine erste Einschätzung des Umfangs darstellen (siehe Link im Abschnitt „Weiterführende Links“). Jedoch ist ein Selbsttest nicht mit einem professionellen Audit gleichzusetzen und kann dieses nicht ersetzen.
Vorteile, wenn man die Bestimmungen schon früh umsetzt
Ein zeitnahes Umsetzen der digitalen Barrierefreiheit ist aus Sicht von Webseitenbetreibern absolut rentabel. Sie können dabei nämlich von den folgenden Vorteilen profitieren:
Reichweitenerhöhung
Laut Aktion Mensch gibt es folgende Statistiken, wie relevant Barrierefreiheit für Webseiten ist:
- für 10 Prozent der Menschen in Deutschland unerlässlich
- für 30 Prozent zumindest notwendig
- für 100 Prozent der Menschen hilfreich
Eine Umsetzung der Barrierefreiheit geht für alle Onlinepräsenzen also auch immer automatisch mit einer Erhöhung der Reichweite einher.
Bessere Nutzerzufriedenheit
Barrierefreiheit für Onlineportale sorgt in der Regel für eine klarer strukturierte und damit bessere Kommunikation mit den Nutzern. Eine nachvollziehbare Nutzerführung, klarere Designs und strukturiertere Inhalte verbessern grundsätzlich die Nutzerzufriedenheit.
Bessere Suchmaschinen-Rankings
Das Erfüllen der Anforderungen an Barrierefreiheit für Websites kann gleichzeitig eine Suchmaschinenoptimierung bedeuten. Viele der Maßnahmen zur digitalen Barrierefreiheit, wie etwa strukturierter HTML-Code, sinnvolle Überschriftenhierarchien, Alternativtexte für Bilder oder eine klare Navigation, stellen gleichzeitig Best Practices der Suchmaschinenoptimierung dar. Ihre Umsetzung erhöht außerdem oft die Nutzerzufriedenheit, was von Suchmaschinen durch ein besseres Ranking der Webseite belohnt werden kann. Von den entsprechenden Barrierefreiheits-Anpassungen profitieren Webseitenbetreiber also gleich doppelt.
Wie wird die Einhaltung der Bestimmungen überprüft?
Die Kontrolle der Gesetzesbestimmungen wird von einer bundesweiten Marktüberwachungsstelle übernommen, welche zum 28. Juni 2025 in Sachsen-Anhalt die Arbeit aufnehmen soll. Die Überprüfung der Barrierefreiheits-Bestimmungen erfolgt stichprobenartig. Verbände und Verbraucher können sich außerdem an die Behörde wenden, wenn sie der Meinung sind, dass “ein Produkt und/oder eine Dienstleistung, das/die unter das BFSG fällt, nicht barrierefrei ist” (vgl. Bundesfachstelle Barrierefreiheit, Punkt 23).
Was passiert bei Nicht-Einhalten des Gesetzes?
Wenn die Marktüberwachungsbehörde bei Verstößen gegen die Barrierefreiheit aktiv wird, kontaktiert sie zuerst das entsprechende Unternehmen und fordert es zur Herstellung der Gesetzeskonformität auf (vgl. Bundesfachstelle Barrierefreiheit, Punkt 23). Kommt das Unternehmen dieser Aufforderung nicht nach, wird seitens der Marktüberwachungsbehörde eine Frist für die Wiederherstellung der Barrierefreiheitskonformität des entsprechenden Produkts oder der entsprechenden Dienstleistung gesetzt. Nach Ablauf der Frist kann ein Bußgeld wegen Ordnungswidrigkeit in Höhe von bis zu 100.000 € verhängt werden (vgl. § 37 BFSG). In schweren Fällen kann es auch zu einem Verbot der Bereitstellung von betroffenen Produkten und Dienstleistungen kommen.
Disclaimer
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Weiterführende Links
Weitergehende Informationen zum Thema Barrierefreiheit:
https://www.verdure.de/magazin/strategie/barrierefreiheitsstarkungsgesetz-websites-2025-bfsg-bitv-wcag/
https://www.aktion-mensch.de/inklusion/barrierefreiheit/barrierefreie-website
Barrierefreiheitsprüfung der eigenen Webpräsenz:
https://www.bitvtest.de/bitv_test/bitv_test_selbst_anwenden/selbstbewertung.html
Vorgehensweise Barrierefreiheit:
https://www.leserlich.info/kapitel/farben.php
https://www.mindshape.de/magazin/barrierefreie-websites
https://www.lf-barrierefreiheit-st.de/digitales/webseiten/checklisten
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